Einleitung

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Die Natur hat die Rheinlande und in ihnen das Elsass zu einem der schönsten Landstriche des mittlern Europa's gemacht; die Geschichte zeigt es uns durch alle Zeitläufe hin, als einen der bedeutendsten Punkte; die Sage, ihre Zwillingsschwester, die hier noch, im Gewande teutscher Sprache, aus der fernsten Vorzeit Hand in Hand mit ihr bis in die Gegenwart herüber schreitet, macht es zu einem poetischen, romantischen Gebiete.
Wenn das Rheinland überhaupt, vor vielen andern Gegenden, der Schauplatz welthistorischer Begebenheit gewesen, so war das Elsass darin stets einer der wichtigsten Theile. Es ist eng mit ihm verwachsen, und höchst lückenhaft wären die Geschichte und Sage des Rheinlands, wollte man der Elsässischen nicht eine bedeutende Stelle einräumen.
Die teutsche Sage reicht wohl schwerlich in einem Landstreiche weiter in die Ferne der Jahrhunderte, als im Elsass, den an der Pforte steht ein mystischer Held des Alterthums, der vergötterte Herkules, der auf seinen weiten abenteurlichen Fahrten auch die Gauen der Alsa berührte. (S. die Sage von der Herkules-Keule.) - Die römische Periode ist durch die Schlacht bei Volkensberg ober bei St. Apollinar, an der Schweizergränze (58 Jahre vor Christi Geburt), nach welcher Ariovist sich vor Cäsar's Legionen auf einem Rachen über den Rhein flüchte musste, bezeichnet; so wie durch Martius und Gallus (von August Lamey), in welcher Sage das Christenthum über das Heidenthum siegend in das Elsass bricht. - Auh Hoh-Geroldseck sind die Helden Ariovist, Herman, Wittekind und der hörnen Siegfrit gebannt, und werden einst, wenn das Land in höchster Noth, mit ihren schlummernden Schaaren aus den Felsenklüsten erstehen (Ferrand's Sage, nach Moscherosch.) - Atila, die Gottesgeissel, verwüstet 451 das Elsass, zerstört Argentorat, und macht sich durch dasselbe eine blutige Strasse nach Gallien. (Strassburgs Wappenschild.) - Der fränkische König Dagobert nimmt Sankt Florentin's Hilfe für sein krankes Töchterlein in Anspruch. - Karl der Grosse gefällt sich an den waldumrauschen Ufern des Rheins und der Ill des Waidwerks zu pflegen und baut der heiligen Irmingart das Kloster Erstein. Sein schwacher, unglücklicher Sohn, Ludwig der Fromme, unterilegt auf dem Lügenfelde dem doppelten Verrath seiner Söhne und des Pabstes. Karl's Neffe, der vielbesungene Roland, wandelt noch in stillen mondbeglänzten Mitternächten, mit seiner geliebten Emma, auf den Höhen des Münsterthals. - Karl der Dicke hält 888 zu Kirchheim einen Landtag und lässt seine, der Untreue angeklagte Gattin Richardis, für die der Graf von Andlau ritterlich kämft, die Feuerprobe bestehen. - Kaiser Heinrich II, der Heilige, besucht das Münster (das hölzerne), findet Wohlgefallen an der frommen Sitte der Chorherren, will Scepter und Krone niederlegen, um selbst in ihre Reihen zu treten, und stiftet die Chorkönigspfründe. - Im jahr 1015 legt Bischof Werinchar oder Werner von Habsburg den Grundstein des jetzigen Münsters; fortlaufende Sagen verfolgen und verherrlichen den Bau des Riesenwerks. - Im Jahr 1200 wird dem Grafen Hugo von Egisheim ein Knabe, Bruno, geboren, der nachmalige Pabst Leo IX (zwei Sagen). - Im jahr 1262 hilft Rudolf von Habsburg, Strassburgs Stadthauptmann, den bösen Bischof Walther von Geroldseck besiegen. - Im Jahr 1349 durchziehen Schwärme von Geisslern oder Geischelfahren das Elsass und singen ihre von den Chronicken aufbewahrten "Leisen". - Kaiser Sigismund findet sich 1418 recht behaglich in der gastlichen Reichstadt Strassburg, und entblödet sich nicht mit den Bürgerfrauen und Mägdlein baarfuss, im leichten Mantel, durch die Stadt zu tanzen und sich von ihnen beschuhen zu lassen. - Joh. Gutenberg, aus Mainz, erfindet 1440 sie Buckdruckerkunst in Strassburg. - Geiler von Kaisersberg (gest. 1510) erhebt, als ein Johannes der Reformation, in den weiten Hallen des Münsters seine Donnerstimme, die oftmals Maximilian I erschüttert, und legt sich unter die steinerne Kanzel zum Todesschlafe nieder, bevor er das von ihm verkündigte Licht geschaut hat. - Der Reformationszeit gehören die Gedichte Karl der fünfte und Sturm von Sturmeck, und der Ueberfall auf der Feste Lützelstein, durch Franz von Sickingen, an. -Der Bauernkrieg beginnt 1525 im Elsass, ihm ist von R. Candidus ein ächt-kräftiges Volkslied gesungen. -Schon Fischart besang in treuherzigen Tone die Fahrt der Zürcher mit dem warmen Hirsebrei (1576), aus den schönsten Zeiten unsers reichstätischen Lebens; wir entlehen ihm "die Ankunft der Zürcher in Strassburg". - Die Hugenotten flüchten sich nach der Aufhebung des Edits von Nantes (1685) durch das Elsass, sie bauen hier unter andern das Dorf Ueberach, wo noch jetzt alle Bauern französische Namen tragen; jedoch haben sie später die katholische Religion angenommen. - Der jüngern Zeit, "wo der Bichtkunft malerische Hülle sich nicht mehr lieblich um die Wahrheit schlingt", sind zwei Gedichte geweiht, sie besingen Oberlin, den Patriarchen des Steinthals, und Göthe (Münstersage), der dem Elsasse einige Zeit lang angehörte.
So zieht sich durch alle Jahrhunderte hindurch der goldne Faden der Sage, bald hell und lieblich wie Aeolsharfengetöne fliegend, bald von Sturmakkorden durchrauscht, bis in die neuere Geschichte. Und so ständen den zwei Heroen an den beiden Endpunkten der Alsasage, zwei, obgleich verschiedenartig, vergötterte Riesenbilder - Herkules, das Urbild der physischen Kraft, - Göthe, der Heros der neuern Poesie.
Wenn sich an das Elsass die grössten Namen und Begebenheiten der Geschichte knüpfen, voll poetischer Momente, um besungen zu werden, so erschliesst sich auch in demselben der ganze Kreis der mittelalterlichen Wunder: Seegeister und Brunnennixen, Feen, Zauberinnen, Gnomen, Riesen und Zwerge, Heren, Ahnfrauen, schlafende Kriegsheere, gebannte Geister, zu Schutz und Trutz, zu Neck und Schreck dem einsamen Wandrer, Teufel und Heilige - regen sich in den Wäldern, auf Bergen, in Thälern, an Seegestaden, in Burgtrümmern und Klostermauern. Dei Legende des Elsasses gibt die Namen der Heiligen: Maternus, Florentin, Arbogast, Valentin, Theobald, Dionysius, Attala, Odilia, Irmingart, Richardis u.s.w., welche Dichtungen geweiht sind.
Was den Raum betrifft, in welchem sich die Sagen bewegen, so unfallen sie das ganze Elsass. In der Nähe der Schweizergrenz, unweit den Illquellen beginnend, ziehen sich die Sagen am Rheine, durch die Ebene hin, besonders aber längs dem Wasgau, sich an die Lauter, welche das Elsass von der Rheinpfalz scheidet. Der Wandrer, dem dies Buch als poetischer Wegweiser dienen möchte, wird nicht wohl einige Stunden durch unser Land gehen können, ohne an einen von der Sage besungenen, durch Dichtung oder Geschichte verherrlichten Ort zu kommen; ja in manchen Gegenden vereinigen sie sich in zahlreichen Gruppen der seltsamsten Bestandtheile.
Einige der vorzüglichsten Dichter haben aus den elsässischen Sagenkreisen Stoffe zur Dichtung gewählt: vor allen Schiller, dessen "Sang nach dem Eisenhammer" uns angehört, eine elsässischer Hammerschmied hat dem Dichter die Sage in Jena erzählt, und noch lebe im Munde des Volks in den Thälern hinter Zabern; ferner Hans Sachs, M. Wolfr Spangenberg, Achim von Armin, Chamisso, Uhland, Rückert, Simrock, Ferrand, I. F. v. Meyer, Manfred A. Schnezler, Lührs und Andere.
Von Allen Sagen sind die Odilie und das Riesenspielzeug am Häufigsten bearbeitet worden. - Reiche Ausbeute gaben die vaterländischen Sänger: Fischart, Pfeffel, Ehrenfried Stöber, Charlotte Engelhardt, geborne Schweighäuser, A. Lamey, G. Dürrbach, Fr. Otte, R. Candidus, D. Hitz, Chr. Hackenschlidt, Gust. Mühl (sonst. H. Ottmar), Theod. Klein (sonst R. Wild), Adolf Stöber. Den neun Letztgenannten verdankt der Herausgeber, der selbst viele neue Stoffe behandelt hat, den grössten Theil der ungedruckten Sagen. Frisch und hell zu den Tönen der neuern Dichter stimmen die eingesteuten Sagenklänge der alten Volkslieder und helfen das Bild vollenden.
Auf die Sagen folgt, als Zugabe, eine reiche Lese jener leiblichen, oft so naïven, frischen, phantasievollen oder schmerzhaften und witzigen elsässischen Kinder und Hausliedchen, Sprüchlien und Spielreime, die jeder im Elsass Erzogene aus dem golden Zeitalter der Kindheit kennt und die sich bis jetzt nicht anders als von Mund zu Mund fortgeplänzt hatten.
Den Schluss der Sammlung machen Anmerkungen, welche topographische, geschichtliche und literarische Nachweisungen geben werden.
Eine gewiss allgemein willkommen geheissene Ausschmückung des Buches sind die von Herrn Historienmaler J. Klein so sinvoll und mit so vieler Poesie aufgefassten Umrisse, die Herr Karl August Schuler, mit dem ihm eigenthümlichen Kunstfleisse in Stahl gestochen hat.

Buchsweiler, Frühling 1840

Der Herausgeber


 

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